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QB 02/2020 – MUSS I DENN ZUM STÄDELE HINAUS? – Vergaberechtliche Implikationen in der digitalen kommunalen Finanzbeschaffung

Seit einigen Jahren etablieren sich digitale Vermittlungsplattformen im kommunalen
Finanzmarkt. Die Kommunalfinanzierung nimmt eine Sonderstellung ein, da eine Vielzahl
vergaberechtlicher Regelungen aufgrund von teilweise erstaunlichen Gesetzesausnahmen
gar nicht erst Anwendung finden. Stattdessen gelten andere Vorschriften, oft aus gelebter
Verwaltungspraxis. Diese Regelungen beruhen in weiten Teilen auf den herkömmlich
langsamen Kommunikationsstrukturen und Prozessen im Markt und es steht in Frage ob
diese in der digitalen Welt so noch anwendbar sind.

Der kommunale Finanzmarkt praktiziert herkömmlich mit der Ansprache einer begrenzten
Bieterliste eine sog. „beschränkte Ausschreibung“, welche aufgrund der bisherigen
Marktsituation auch zulässig war. Durch das Aufkommen der digitalen Marktplätze ändert
sich nun die rechtliche Bewertung.

Darüber hinaus könnte man aus dem staatlichen Gebot der Sparsamkeit nahezu eine
rechtliche Pflicht der Finanzverwaltung herleiten, auf die effizientere digitale Plattform zu
wechseln, da diese eher dem gesetzlichen Leitbild der „öffentlichen Ausschreibung“
entspricht. Von Friedrich von Jagow.

Von Friedrich von Jagow, Geschäftsführer der CommneX GmbH.

I. DIE RECHTSLAGE

 

Die Suche nach den rechtlichen Grundlagen: …Es gibt keine!

In den letzten Jahren standen mehrere EU-Richtlinien zum Vergaberecht in Deutschland zur Umsetzung in nationales Recht an allesamt mit expliziten Ausnahmen für die Beschaffung von kommunalem Finanzbedarf. Das nationale Vergaberecht (basierend auf den EU-Richtlinien) nimmt die kommunale Finanzbeschaffung von sämtlichen bundesrechtlichen Vergabevorschriften aus:

 

Die erstaunliche Ausnahme – Teil 4 des GWB

Die vertiefte Suche nach vergaberechtlichen Regelungen für die kommunale Finanzbeschaffung führt in Teil 4 des GWB. Die Regelungen aus § 116 GWB nehmen „Kredite und Darlehen…“ und zugehörige „finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten…“ von den vergaberechtlichen Vorschriften aus Teil 4 des GWB aus. Aufgrund dieses Ausschlusses findet auch die Vergabe-Verordnung VgV keine Anwendung, da diese gemäß § 1 Abs. 1 VgV nur öffentliche Aufträge erfasst, die Teil 4 des GWB unterliegen.

Früher hätte man weitere Regelungen im Bereich der öffentlichen Vergabe in der VOL/A, der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen, gefunden. Diese wurde aber im Jahr 2017 durch die Unterschwellenvergabeordnung UVgO ersetzt. Gemäß § 1 Abs. 2 der UVgO ist diese wiederum nicht anwendbar auf Bereiche, die einer Ausnahme aus § 116 GWB, also der Bereichsausnahme für die Kommunalfinanzierung, unterliegen.

Die Ausnahme für diesen Teilbereich der öffentlichen Wirtschaft erstaunt, da vor allem der Umgang mit öffentlichen Geldern einer transparenten Vergaberegelung unterworfen sein sollte. Diese verwunderliche Ausnahme erklärt sich aber wohl mit einer erfolgreichen Interessenvertretung der deutschen Kommunalverbände und öffentlichen Banken, die sich dafür in Brüssel stark eingesetzt haben. Das deutsche Sparkassensystem und die Vernetzung mit den kommunalen Körperschaften hätten wohl andernfalls vor ernsthaften vergaberechtlichen Herausforderungen gestanden.

Diese Ausnahmen bedeuten jedoch keineswegs, dass der Markt rechtlich im luftleeren Raum agiert; die öffentliche Verwaltung unterliegt ja stets den allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes und etwa dem Gebot der Sparsamkeit aus § 7 BHO. Dies sind jedoch abstrakte Grundsätze, die wenig Konkretes für die Praxis hergeben.

 

Die Landes-Kommunalverfassungen eilen zur Hilfe

Hier kommt nun das Landesrecht ins Spiel: Die Landeskommunalverfassungen verpflichten Kommunen, sich selbst eine Vergabeordnung zu geben – dies allerdings ohne nähere Anforderungen. Der § 120 Abs. 1 Satz 2  NKomVG bestimmt etwa lapidar:

„Die Kommune hat Richtlinien für die Aufnahme von Krediten aufzustellen“.

Diese markante Lücke an Rechtsgrundlage füllt der Deutsche Städtetag mit der Ausgabe von Muster-Dienstanweisungen für die Finanzbeschaffung, welche die Städte zur Hand nehmen können. In einer Muster-Dienstanweisung für Richtlinien für Finanzgeschäfte ist etwa aufgeführt:

„Für die Angebotseinholung von Kommunalkrediten wird eine Liste der Finanzdienstleister (Bieterliste) geführt. Gesichtspunkte für die Erstellung der Bieterliste sind neben den bestehenden Geschäftsbeziehungen insbesondere die Marktpräsenz und die Initiative in Form von Angeboten und Marktinformationen. Für Kommunalkredite ist von mindestens [fünf] Finanzdienstleistern ein Angebot einzuholen.“

Hier ist insbesondere hervorzuheben, dass von mindestens fünf Anbietern die Rede ist (während die gelebte Praxis flächendeckend von drei Angeboten spricht), die eingeklammerte Zahl aber wohl auch zur freien Definition durch die umsetzende Kommune steht.

 

II. DIE PRAXIS

 

Kommunale Finanzbeschaffung in der Praxis:

In der Praxis wird die kommunale Beschaffung von Finanzdienstleistungen entsprechend der kommunalen Finanzhoheit von Kommune zu Kommune anders gehandhabt. Die Kämmerei jeder Kommune verfügt klassisch über Verteilerlisten mit E-Mail- und Fax-Kontakten der ihr bekannten Anbieter. Naturgemäß erreichen größere Städte eher einen breiteren und überregionalen Kreis an Investoren für ihre Ausschreibungen, was auch daran liegt, dass neben der Bieterliste spezialisierte Makler überregional Finanzinstitute ansprechen.

 

Die Ausschreibung und der Zuschlag:

Die Kämmerei definiert Volumen, Laufzeit, Tilgungsstruktur, Zinskonvention und weitere Parameter zu dem gesuchten Finanzgeschäft und setzt eine Ausschreibungsfrist, bis zu der die Angebote vorzuliegen haben. Den Zuschlag unter den eingegangenen Angeboten erhält das „wirtschaftlichste Angebot“. Was das heißt, führt etwa die Muster-Dienstanweisung für Kredite aus:

„Die Vergabe erfolgt an den wirtschaftlichsten Bieter (Bestbieter). Dies kann z. B. anhand des Nominal- oder Effektivzinssatzes, qualitativer Merkmale wie Risikokennzahlen, der Kapitalbeschaffungskosten sowie den Gesamtkosten der Kreditaufnahme ermittelt werden. Zur Aufrechterhaltung von Kreditlinien kann es sinnvoll sein, den Zuschlag abweichend vom günstigsten Angebot zu erteilen. Bei der Vergabe kann die Teilung in mehrere Tranchen an unterschiedliche Bieter sinnvoll sein. Bei der Auswahl des Bestbieters bleiben wettbewerbsfremde Argumente (Hausbank, Regionalbezug etc.) außer Betracht…“

Insbesondere der Ausschluss der Merkmale „Hausbank und Regionalbezug“ aus der Liste der legitimen Auswahlkriterien ist hier hervorzuheben. Die traditionell enge Beziehung zu regionalen Banken aus dem Sparkassen- oder Genossenschaftssektor ist vor allem für kleine, ländliche Kommunen von großer Bedeutung, da diese aufgrund rückläufiger Angebotszahlen in der Niedrigzinsphase oft als einzige Anbieter verbleiben, so dass die Praxis hier etwas abseits des regulatorischen Idealbildes agiert.

 

III. DIE DIGITALE REVOLUTION

 

Der neue, digitale Weg – Das Aufkommen von Plattformen

Seit circa vier Jahren etablieren sich im kommunalen Finanzmarkt digitale Plattformanbieter. Die Kommune definiert wie in einer analogen Ausschreibung ihren Bedarf auf der Online-Plattform und Finanzinstitute können Angebote darauf abgeben. Ob die Kommune dabei drei oder dreihundert Banken anspricht, macht für den Aufwand keinen Unterschied mehr. Die Grenzkosten der Ansprache weiterer Anbieter werden digital gegen Null reduziert. Gleichermaßen ist auch die Auswertung und der Vergleich vieler Angebote nicht aufwändiger, da durch automatische Berechnungs-Tools die Kämmerei sich das günstigste Angebot herausfiltern lassen kann, exakter und schneller berechnet als es jedes Excel-Sheet vermag.

Und genau diese Vereinfachung sorgt für eine erhebliche vergaberechtliche Deutungsänderung: Das Leitbild der „öffentlichen Ausschreibung“ verlangt, dass man so viele Anbieter wie möglich anzusprechen hat, solange nicht der Mehraufwand außer Verhältnis steht. Die Innovation der digitalen Plattform und die daraus resultierende Vereinfachung lässt die Rechtfertigung, vom vergaberechtlichen Leitbild abzuweichen, entfallen, da kein Mehraufwand mehr entsteht.

Zusätzlich nimmt der staatliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit aus § 7 BHO die kommunale Finanzverwaltung in die Pflicht. Der Staat agiert mit Steuergeldern, quasi als Treuhänder für den Bürger und ist entsprechenden treuhänderischen Pflichten unterworfen. Diese verpflichten ihn, grundsätzlich auf den wirtschaftlichsten und sparsamsten Weg zu setzen und dies ist aufgrund der Arbeitsersparnis in der Finanzbeschaffung und auch aufgrund der erwartbaren Senkung des Zinsniveaus durch einen erhöhten Wettbewerb der Weg über die digitale Plattform.

 

Zusammenfassung

Der Umstieg auf digitale Ausschreibungs-Lösungen ist ein einfacher Schritt zu einer Finanzbeschaffung, die rechtlich und wirtschaftlich näher an das gesetzgeberische Leitbild der sparsamen und transparenten Kommune reicht und durch die öffentliche Ausschreibung in der Praxis ausschließlich Vorteile ohne Mehraufwand birgt. Eine wirkliche Rechtfertigung, weiterhin an einige auserwählte Bankpartner aufwendig per Fax auszuschreiben ist schlicht nicht ersichtlich.

 

Den vollständigen Fachartikel als PDF finden Sie hier.

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