Von Luca Frignani, Vorstand und Gründer, und Katharina Lentge, Business Developer, bei der Exaloan AG.
Bereits vor der Pandemie galt der Zugang zu Finanzierungsmitteln als eine der größten Wachstumshürden für Unternehmen, speziell in Entwicklungsländern. Rund die Hälfte aller Unternehmen weltweit haben keinen Zugang zu Kreditprodukten. Dadurch fehlen jedes Jahr rund 5,2 Billionen USD an Finanzierungsmitteln, die von Investoren bereitgestellt werden könnten. In den kommenden Monaten wird dieses Problem durch den erschwerten physischen Zugang zu Finanzinstitutionen und rezessive Tendenzen weiter zunehmen. Finanzielle Inklusion als Entwicklungsziel beinhaltet die Verantwortung, den Spielern unserer Wirtschaft erschwingliche Finanzdienstleistungen nach ihren Anforderungen zugänglich zu machen. Innovation in der Form von digitalen Marktplätzen stellt eine Chance dar, diese Verantwortung zu erfüllen und die strukturellen Lücken in unseren Finanzsystemen zu schließen. Durch die Digitalisierung des Kreditprozesses vereinfachen Kreditplattformen maßgeblich den Kapitalzugang für Kreditnehmer und öffnen neue Märkte für Investoren. Auch die Allokation von Finanzierungsmitteln kann durch datengetriebene Risikobewertung effektiv und durch die Förderung bestimmter Marktsegmente sinnvoll gesteuert werden.
„Ahead of the curve“: Anhaltender Fintech-Boom und Wachstumschancen
Mit 1,7 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen sind die Wachstumschancen für digitale Geschäftsmodelle enorm. Neben der anhaltenden Digitalisierung, der steigenden Smartphone-Nutzung und verbesserten Konnektivität spielen bei der Kreditnachfrage vor allem demografische Faktoren wie eine wachsende junge Bevölkerung mit steigenden Einkommen eine wichtige Rolle. Wenn diese Trends auf ein Bankensystem treffen, welches die Finanzierungsbedürfnisse seiner Kunden nicht ausreichend bedienen kann, entstehen Schlüsselmärkte und neue Wachstumschancen für Kreditplattformen.
Südostasien ist ein solcher Fall: Nur rund 18% aller Privatpersonen haben Zugang zu traditionellen Kreditprodukten, obgleich sich rund die Hälfte aller Über-15-Jährigen im Jahr 2017 Geld geliehen hat (Global Financial Inclusion Database 2017). Kreditgeschäfte laufen dabei oft über informelle Kanäle, da hohe Kosten, bürokratische Prozesse oder die physische Entfernung zur Filiale den herkömmlichen Kreditantrag unzugänglich machen. Gleichzeitig besitzt der Großteil der Bevölkerung ein mobiles Konto, die Akzeptanz im Markt und bei Entscheidungsträgern für digitale Finanzapplikationen steigt und Daten zur Automatisierung von Kreditprozessen sind ebenfalls vorhanden. Informationen aus Südamerika, Afrika und Osteuropa malen ein ähnliches Bild.
Die globale Finanzierungslücke
Auffallend ist, dass sowohl im traditionellen – als auch digitalen – Kreditmarkt ein ausgeprägtes Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herrscht. Laut dem SME Finance Forum fehlen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) in Entwicklungsländern jedes Jahr rund 5,2 Billionen USD an Finanzierungsmitteln. Anders gesagt: 65 Millionen Firmen, die gleichzeitig für 9 von 10 Arbeitsplätzen und den Großteil der nationalen BIPs sorgen, haben keinen ausreichenden Zugang zu Kredit. So werden im asiatisch-pazifischen Raum nur etwa 60% des potenziellen Finanzierungsbedarfes gedeckt, in Südasien 30% und im arabischen Raum nur etwa 16%.
Potenzielle Nachfrage nach Finanzierung in Entwicklungsmärkten
Quelle: MSME Finance Gap Database
Da ökonomische Entwicklungen zwangsläufig einer Form der Finanzierung bedürfen, ist dies ein ernstes volkswirtschaftliches Problem. Dies gilt speziell für Regionen mit dynamischem Wachstumspotenzial. In einem solchen Umfeld sehen sich Privatleute, Unternehmer und KMUs unter Umständen gezwungen, auf informellen und unregulierten Wegen Liquidität zu beschaffen, um ihre Geschäftstätigkeit auszubauen oder aufrechtzuerhalten. Dabei laufen sie Gefahr, sich durch unlautere Kreditvergabe in Überschuldungskreisläufe zu begeben. In diesem Zusammenhang macht die zunehmende Bedeutung von digitalen Kreditplattformen im Markt auch eine Betrachtung aus regulatorischer Sicht erforderlich. Dabei zeigt sich der positive Effekt proaktiver Regulierungen – oft in Zusammenarbeit mit etablierten Playern – am exponentiellen Wachstum digitaler Kreditmärkte in den Ländern, die eine Strategie zur finanziellen Inklusion durch neue Technologien verfolgen.
Beispielhaft ist der indonesische Markt, in welchem seit der offiziellen Erfassung von Fintech-Krediten durch die Finanzbehörde OJK im Jahr 2016 bereits mehr als 7,4 Milliarden USD digital vermittelt wurden. Indonesien gilt heute als einer der dynamischsten digitalen Kreditmärkte weltweit mit mehr als 160 registrierten Kreditplattformen (Stand März 2020). Vor dem Hintergrund proaktiver Gesetze zur Einbindung digitaler Finanzlösungen soll das Digitalkreditvolumen innerhalb der ASEAN-Region bis 2025 auf über 100 Milliarden USD wachsen (Google, Bain & Temasek, 2019). Positiv beeinflusst wird diese Entwicklung parallel durch Quantensprünge in anderen Schlüsselbranchen digitaler Finanzdienstleistungen; darunter Zahlungen, Überweisungen, Versicherungen und Investments.
Ausblick: Technologie allein ist nicht genug
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die zunehmende Digitalisierung des Kreditgeschäftes in Kombination mit einer organisch steigenden Kreditnachfrage auf ein anhaltend starkes Wachstum der Plattformökonomie im Kreditbereich hindeutet. Die hohe Finanzierungsnachfrage, die aktuell nicht von traditionellen Institutionen bedient wird, bietet ideale Wachstumschancen für innovative Kreditmodelle, die gleichzeitig dem Anspruch finanzieller Inklusion gerecht werden können.
Langfristig muss jedoch mehr Kapital über den digitalen Kreditmarkt abgewickelt werden, um die bestehende, globale Finanzierungslücke zu schließen. Insgesamt werden sich Kreditplattformen dabei schneller als fester Bestandteil des Finanzsystems etablieren können – wenn sie es schaffen, neben Vertrauen, Innovation und Effizienz vor allem einen nachhaltigen Zugang zum Kapital einer finanzstarken, institutionellen Investorenbasis aufzubauen.
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