Von Dr. Jens Zimmermann, Mitglied des deutschen Bundestages und digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
VdK: Die Corona-Pandemie verschafft der Digitalisierung weltweit einen enormen Schub. In Deutschland hingegen haben wir scheinbar jede Menge Probleme: ob Verteilung der Corona-Hilfen, Homeschooling, überlastete Netze oder die Organisation von Impfterminen – es läuft einfach nicht rund bei uns. Was können wir zukünftig besser machen beim Thema Digitalisierung?
Dr. Jens Zimmermann: Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert für alle bringt. Vieles wurde im vergangenen Jahr durch die Digitalisierung erst möglich gemacht. Trotz Anlaufschwierigkeiten: wir haben eine breit akzeptierte staatliche Corona-App, wir haben im Digitalpakt jede Menge Geld für die Digitalisierung der Schulen bereitgestellt und eine ambitionierte Datenstrategie und Blockchain-Strategie vorgelegt. Um nur ein paar Punkte zu nennen. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass wir eine bessere Koordinierung brauchen. Die CDU/CSU lässt ihre zuständige Staatsministerin oft am langen Arm verhungern. Im Verkehrsministerium, das u.a. für Breitbandausbau zuständig ist, sind nur auf unseren Druck hin Programme angelaufen. Das muss besser werden.
VdK: Brauchen wir vielleicht ein neues Ministerium für Digitalisierungsfragen? Mit einer Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt und der vielen über verschiedene Ministerien verteilten Aufgaben macht die Bundesregierung es sich ja nicht gerade leicht.
Dr. Jens Zimmermann: Ich habe bereits vor einem halben Jahr ein Digitalministerium gefordert. Denn es ist logische Schlussfolgerung, dass wir die Koordinierung verbessern müssen. Ein Digitalministerium wird aber nicht der Allheilsbringer sein für alles was in der relativ starren Verwaltung falsch läuft. Wir brauchen proaktive Digitalexpertise in allen Ministerien und agile Strukturen.
VdK: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Kreditplattformen bei der Verteilung der Corona-Hilfsgelder außen vor gelassen wurden? Als digitale Vorreiter hätten sie doch gerade am Anfang, als die Dinge nur langsam in Gang kamen, den gewünschten schnellen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten können.
Dr. Jens Zimmermann: Es gab damals gute Gründe die Verteilung der Corona-Hilfsgelder über das bewährte System laufen zu lassen. Die Hausbanken hatten die schnellsten und besten Kontakte zu ihren Kund*innen. Dass es am Anfang etwas Zeit brauchte lag auch daran, dass Beihilferegelungen auf europäischer Ebene geklärt werden mussten. In diesem Krisenkontext konnten wir schnelle Hilfen leisten.
VdK: Spitz formuliert: Passt das Hausbankprinzip noch in das digitale Zeitalter?
Dr. Jens Zimmermann: Ich glaube, das Hausbankprinzip ist bewährt und hat gerade was KMU angeht wesentliche Vorteile. Sie wollen Ansprechpartner vor Ort und sind teilweise auch mit digitalen Anbietern überfordert. Gleichzeitig glaube ich als digitalpolitischer Sprecher meiner Fraktion aber auch, dass es hier auf beiden Seiten ein Umdenken braucht. Und dass es durchaus Luft nach oben bei der Digitalisierung dieser Angebote gibt. In diesem Kontext sind die Erfahrungen und Angebote der Kreditplattformen spannend und durchaus zukunftsweisend.
VdK: Themenwechsel: Im September 2020 hat die Europäische Kommission ihr “Digital Finance Package” verabschiedet. Ziel ist es, die Fragmentierung des Binnenmarkts für digitale Finanzdienstleistungen zu beseitigen und den datengesteuerten Finanzsektor zu unterstützen. Zufrieden? Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf?
Dr. Jens Zimmermann: Ich sehe das „Digital Finance Package“ als wichtigen Wegweiser für ganz Europa. Im digitalen Finanzmarkt tut sich enorm viel, von Krypto-Assets hin zu Überlegungen zu einem digitalen Euro. Das ist spannend und bietet viel Innovationspotenzial. Dieses gilt es zu nutzen und dafür braucht es klare und verlässliche Regulierung. Wir können mit dem Digital Finance Package also weltweiter Vorreiter sein. Gleichzeitig zeigt sich im digitalen Finanzmarkt ein ähnliches Bild wie in vielen digitalisierten Märkten: Es bilden sich Monopole. Hier gilt es strikt durchzugreifen und sicherzustellen, dass Daten- und Schnittstellenzugänge für alle Wettbewerber nutzbar werden. Das ist ein Bereich in dem wir auch auf europäischer Ebene noch strikter durchgreifen wollen und müssen.
VdK: Immer wieder sind Stimmen zu hören, die darauf hinweisen, dass es die hohen regulatorischen Anforderungen seien, die es Startups erschweren würden, ihr Geschäftsmodell erfolgreich zu entwickeln. Mit ihrem Pilotregime für Marktinfrastrukturen hat die Kommission hierzu im Herbst erste Vorschläge gemacht. Was halten Sie von Regulatory Sandboxes und Experimentierklauseln?
Dr. Jens Zimmermann: Ich halte dieses Pilotregime für einen guten Vorschlag. Es erlaubt Unternehmen z.B. auch abseits der Regeln DLTs (Distributed Ledger Technolgien) einzusetzen und schafft damit einen interessanten, aber klar definierten Spielraum. Gleichzeitig müssen wir auch bei dem „Sprung aus der Sandbox“ unterstützen. Ein Thema das mir im Startup Kontext ebenfalls sehr wichtig ist, ist das Thema Mitarbeiterbeteiligung. Ich glaube, das ist ein wichtiger Hebel für Startsups und gleichzeitig ein sozialdemokratisches Thema, das wir deshalb aktuell im Fondsstandortgesetz angehen.
VdK: Nach der Veröffentlichung der Blockchain-Strategie der Bundesregierung in 2019 äußerten Sie sich damals sehr zuversichtlich und sprachen von einem großen Sprung für unser Land. Jetzt liegt der Regierungsentwurf zum eWpG zur Beratung auf Ihrem Tisch. Ist das aus Ihrer Sicht der große Sprung? Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Dr. Jens Zimmermann: Ich bin überzeugt, dass die Einführung elektronischer Wertpapiere – wir haben das übrigens gleich mit der Einführung elektronischer Fondsanteile verbunden – ein großer Sprung ist. Wir sind damit in Europa Vorreiter. Eine stringente und verlässliche Regulierung des digitalen Finanzmarktes ist überfällig. Wir schaffen mit diesem verlässlichen Rahmen einen Wettbewerbsvorteil in Deutschland. Deshalb ja: Das ist ein großer Schritt. Und weitere werden folgen. Die Grundlagen dafür haben wir in der Blockchain-Strategie gelegt.
VdK: Der Markt für die Kreditvergabe an KMU ist noch weitgehend nicht digitalisiert. Erschwerend für KMU kommt die Regulatorik hinzu, die zu einer immer restriktiveren Kreditvergabepolitik der traditionellen Banken führt. Mit der EU-Crowdfunding-Verordnung, kurz ECSP, soll die Digitalisierung ab Herbst einen wichtigen Schub bekommen und helfen, die wachsende Kreditlücke zu schließen. Welchen Stellenwert messen Sie der ECSP für Deutschland bei? Und welche Akzente will die SPD-Bundestagsfraktion in den Beratungen zum Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz setzen?
Dr. Jens Zimmermann: Ich glaube, dass auch der deutsche Markt und unsere KMUs von der ESCP profitieren werden. Darüber hinaus nutzen wir das Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz um den Verbraucherschutz zu stärken und Lücken zu schließen, die sich im vergangenen Jahr aufgetan haben. So haben wir es geschafft einen Provisionsdeckel von 2,5 Prozent für Restschuldversicherungen durchzusetzen. Wir haben außerdem auf die Pleite von AVP reagiert und Regulationsschwächen ausgeglichen. Wir stärken die Aufsicht beim factoring und leasing und geben der BaFin bessere Durchgriffsmöglichkeiten.
VdK: Mit dem Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz hat die Bundesregierung drastische Regelungen zur Haftung für Angaben im Anlagebasisinformationsblatt verabschiedet. Neben den Projektträgern und Kreditplattformen sollen auch ihre jeweiligen Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane haften – und das sogar für einfache Fahrlässigkeit. Es geht hier um Investorenschutz, klar. Aber Mitgliedstaaten, die sich in ihren Begleitgesetzen für weniger harte Haftungsregelungen entscheiden, werden dadurch ihren Kreditplattformen völlig legal Wettbewerbsvorteile verschaffen. Wie bewerten Sie in diesem Punkt den Entwurf der Bundesregierung?
Dr. Jens Zimmermann: Es dürfte Sie nicht überraschen, dass ich diese Ansicht nicht teile. Ich halte gute Verbraucherschutzregulierung für einen Wettbewerbsvorteil, nicht für einen Nachteil. Zumal ich überzeugt bin, dass ordentlich arbeitenden Kreditplattformen, die verantwortungsbewusst handeln, es unterstützen sollten, wenn Anbieter, die hier nicht so ordentlich arbeiten, entsprechend auch dafür haften müssen. Das schafft Vertrauen in die Kreditplattformen und davon profitieren alle. Wer zuverlässig und kundeorientiert arbeitet, darf nicht bestraft werden.
VdK: Verluste aus Kapitalforderungen wie etwa Darlehen, die die Grenze von EUR 20.000 überschreiten, können seit Anfang 2020 nicht mehr mit Gewinnen verrechnet werden. Nun erweisen sich die Risikomodelle unserer Mitglieder selbst in der Corona-Krise als robust und Verluste sind deshalb für Privatanleger kein großes Thema. Aber sind die Beschränkungen der Verlustverrechnung nicht das falsche Signal an die Bürger, die doch auch nur versuchen, ihre private Vorsorge in die eigene Hand zu nehmen und in der aktuellen Niedrigzinsphase nach attraktiven Investitionsmöglichkeiten z.B. auf Kreditplattformen Ausschau halten?
Dr. Jens Zimmermann: Mit der Änderung haben wir die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes reagiert. Bis 2016 wurden Verluste aus verfallenen Optionsscheinen steuerlich nicht anerkannt. Das Gericht rückte dann von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Der damalige Bundesfinanzminister, Wolfgang Schäuble, blieb leider untätig und ließ einen unbeschränkten Verlustabzug zu. Allen Steuerexperten war aber klar, dass es auf Dauer keinen unbeschränkten Verlustabzug geben würde. Nun lassen wir einen beschränkten Verlustabzug für Privatanleger zu. Damit sorgen wir dafür, dass Bürgerinnen und Bürger die von einer Gruppe von Zockern verursachten Verluste aus risikoreichen Finanzwetten nicht in vollem Umfang mitfinanzieren müssen. Vorher war es so, dass einige Trader, die sich auf den Handel mit Derivaten spezialisiert haben, sehr hohe Risiken eingegangen sind, um überproportional hohe Gewinne zu erzielen. Gehen die Wetten nicht auf, bürden diese Anleger den Steuerzahlern ihre Verluste auf. Diese Praxis haben wir jetzt eingeschränkt. Unsere Botschaft als Gesetzgeber lautet: Wer privat mit Derivaten zocken will, darf das gerne tun, muss dann aber oberhalb der Verlustabzugsbeschränkung auch das Risiko alleine tragen.