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Q&A – Claudia Müller: „Es ist wichtig, dass Kreditplattformen hohe Standards wahren.“

Claudia Müller, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Mittelstandsbeauftragte der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, spricht mit uns im exklusiven Interview über grüne Mittelstandspolitik, Digital Private Debt und das Hausbankenprinzip.

VdK: Frau Müller, wie stehen die Grünen zum deutschen Mittelstand? In ihrem 137 Seiten starken Programmentwurf für die Bundestagswahl kommt das Wort Mittelstand nur zweimal vor.

Claudia Müller: Wir Grünen haben uns schon immer als Partei der kleinen Unternehmen verstanden – denken Sie nur an die Energiewende, als einzelne Initiativen die großen Energiekonzerne ins Wanken brachten. Diese Verbundenheit mit kleinen Unternehmen besteht weiterhin – im Gegensatz zu anderen denken wir bei dem Wort Mittelstand nicht an Unternehmen mit 1000 Angestellten, sondern vor allem an die kleineren, die ja weit über 90% aller Unternehmen in Deutschland ausmachen. Gerade in der Coronakrise haben wir uns immer wieder für die Belange des Mittelstandes und insbesondere der Kleinen und kleinsten Unternehmen stark gemacht. Zum Glück hat sich auch viel getan in den letzten 10 Jahren: Die meisten Unternehmen haben verstanden, dass Klimaschutz einfach dazugehört – egal ob Konzern, Mittelstand oder kleines Unternehmen. Für den Klimaschutz müssen alle zusammenarbeiten.

VdK: Ganz konkret: Was sind aus Ihrer Sicht – einmal abgesehen von den Auswirkungen der Corona-Pandemie und dem Thema Digitalisierung – die aktuellen Herausforderungen für den Mittelstand?

Claudia Müller: Die größte Herausforderung neben den Klimaschutz sind für den Mittelstand die Fachkräfte – insbesondere in den ländlichen Regionen. Extrem wichtig für den Mittelstand und besondere Herausforderung für die kommende Bundesregierung wird es sein, die Digitalisierung der Verwaltung und den Breitbandausbau zu beschleunigen und einen spürbaren Bürokratieabbau hinzubekommen.

VdK: Wie wollen Sie diese als Teil der nächsten Bundesregierung anpacken, welche Pläne haben Sie?

Claudia Müller: Für den Klimaschutz haben wir ein großes Maßnahmenpaket mit vielen Investitionen aufgesetzt. Wir wollen unbedingt langfristig investieren und damit Planungssicherheit und gute Voraussetzungen für die Neuausrichtung der Unternehmen bieten. Damit die Wirtschaft sich klimaneutral umbauen kann, braucht es jetzt beherztes Handeln und keine Kleckerei. Unser Ziel ist eine ausbalancierte Marktwirtschaft, die staatliche Regulierung mit der Freiheit der Märkte verbindet. Für Fachkräfte setzen wir auf einen Dreiklang von Ausbildung, Weiterbildung und Einwanderung. Neben einer Stärkung der Ausbildung wollen wir Grüne ein Recht auf Weiterbildung und den langfristigen Umbau der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung. Sie soll dann Weiterbildung mitfinanzieren und berufliche Brüche begleiten. Bei der Einwanderung brauchen wir endlich eine Talentkarte, die insbesondere die Arbeitssuche vor Ort ermöglicht. Für den Breitbandausbau fordern wir ein einklagbares Recht auf einen schnellen Internetanschluss, mit dem die Netzbetreiber auch in die Haftung genommen werden können.

VdK: An welche Maßnahmen denken Sie speziell beim Thema Bürokratieabbau für mittelständische Unternehmen?

Claudia Müller: Neben unseren bisherigen Forderungen nach der Abschaffung der Poolabschreibung durch eine Erhöhung der Grenze für Sofortabschreibungen auf 1000 € und der Erhöhung der Ist-Besteuerungsgrenze auf 2 Millionen Euro gilt es vor allem die Digitalisierung der Verwaltung für Bürokratieabbau zu nutzen. Ich verstehe Bürokratieabbau nicht als Absenkung von Standards, sondern als Grundlage guten Regierens. Vorschriften müssen nachvollziehbar und sinnvoll anzuwenden sein. Insbesondere für die kleinen Unternehmen, die eben nicht über eigene Fachabteilungen verfügen, ist es von großer Wichtigkeit. Leider gibt es bei viel zu vielen Vorschriften Unklarheiten über die praktische Anwendung, teilweise sogar widersprüchliche Vorgaben und Doppelerfassungen. Hier muss bei jedem Gesetz gut hingeschaut werden. Im Idealfall sollten beispielsweise  Berichtspflichten von Unternehmen Informationen verlangen, welche diese sowieso in gleicher Form für sich selbst aufbereiten.

VdK: Noch einmal kurz zum Bürokratieabbau – das ist eine Sache, um die sich ja eigentlich der KMU-Beauftragte der Europäischen Kommission gut und gerne kümmern könnte. Wie bewerten Sie, dass die Kommission erst jetzt, nach über einem Jahr einen Namen genannt hat?

Claudia Müller: Herr Hudak wurde in einem sehr intransparenten Verfahren benannt. Zusätzlich scheint er noch andere Aufgaben wahrzunehmen. Das EU-Parlament hat mit grüner Unterstützung hier Aufklärung eingefordert. Es ist sehr wichtig, dass diese Stelle gut ausgefüllt wird.

VdK: Vielen KMU geht nach fast 16 Monaten Krise allmählich die Puste aus – die Kassen sind leer und die Hilfsgelder fließen auch nicht mehr ewig. Laut KfW Research verhalten sich die Banken bei der Kreditvergabe aber gerade ihnen gegenüber immer restriktiver. Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, damit der Mittelstand an die dringend benötigte Liquidität gelangt?

Claudia Müller: Auch mir wird immer wieder berichtet, dass insbesondere Kleinstunternehmen schwer an Kredite kommen, selbst wenn diese über die KfW abgesichert werden. Hier sollten die Konditionen überprüft werden. Auch Studien haben gezeigt, dass Banken sich bei Krediten für von der Krise besonders gebeutelte Branchen noch sehr zurückhalten. Für mehr Liquidität braucht es allerdings als erstes sichere und sinnvoll ausgestaltete Corona-Hilfen – zum Beispiel reicht es bei weitem nicht nur ein Programm bis Ende September aufzusetzen. Auch ein Unternehmerlohn sollte erstattet werden. Und Rückzahlungen von Hilfen, welche nach aktuellem Stand schon Januar 2022 anstehen könnten, sollten unbedingt nach hinten verschoben und gestundet werden können.

VdK: Wie stehen Sie zur alternativen Fremdfinanzierung über Kreditplattformen – welche Chancen und Risiken für den deutschen Mittelstand sehen Sie, wenn das Geld nicht mehr von der Hausbank, sondern privaten und institutionellen Investoren kommt?

Claudia Müller: Oftmals ist es schwer für Firmen mit neuen Geschäftsmodellen über die klassischen Wege eine Finanzierung zu finden. Schwarmfinanzierungen können hier eine Alternative bieten und bieten so viel Potenzial für Innovationen. Damit Schwarmfinanzierung dauerhaft als mögliche Geldanlage für Anleger wahrgenommen wird und somit für Unternehmen verfügbar ist, ist es wichtig, dass hohe Standards eingehalten werden. So muss sichergestellt sein, dass sich insbesondere Verbraucher der eingegangen Risiken bewusst sind und nur in einem Umfang investieren, der ihrer Finanzkraft entspricht. Auch müssen die Kreditplattformen ihrer Gatekeeperfunktion wahrnehmen und dürfen hierbei keinen Interessenkonflikten unterliegen.

VdK: In Interviews haben Sie durchscheinen lassen, dass es auch aus Ihrer Sicht oftmals zu lange dauert, bis staatliche Hilfsgelder bedürftige KMU und Startups erreichen. Viele Betroffene sehen dafür den Hauptgrund im Hausbankprinzip, das die KfW an die nur eingeschränkt digitalen Banken kettet. Die französischen, italienischen und britischen Regierungen hingegen zeigten Mut – sie durchschlugen den gordischen Knoten in der Krise. Wie bewerten Sie das Hausbankprinzip als Beauftragte des Mittelstands Ihrer Fraktion?

Claudia Müller: Das Hausbankprinzip der KfW hat sich unseres Erachtens in vielen Fällen bewährt. Durch lange Zusammenarbeit mit den Unternehmen können die Hausbanken die ja regelmäßig mit den Unternehmen zusammenarbeiten, die Risiken besser einschätzen als die KfW dies könnte. So prüfen diejenigen, die auch die Risiken tragen. Bei der Auszahlung der Corona-Zuschüsse hingegen wäre es sicherer und nachhaltiger gewesen die Auszahlung über die Finanzämter zu regeln. Dann hätte es auch Aufwüchse bei den Finanzämtern geben müssen, was langfristig für alle lohnend gewesen wäre: schnellere Betriebsprüfungen und kürzere Aufbewahrungspflichten scheitern ja auch an der zu dünnen Personaldecke in den Finanzämtern.

VdK: Anders gefragt: Würde sich eine grüne Mittelstandspolitik nicht dadurch auszeichnen, dass die staatlichen Förderbanken auch mit Kreditplattformen zusammenarbeiten müssen, um staatliche Hilfen schnell und unbürokratisch in den Mittelstand zu bringen? Wäre das nicht ein wichtiges grünes Projekt für die nächste Legislaturperiode?

Claudia Müller: Mit der Verbreitung neuer Akteure und Finanzierungsmodelle sollten wir auch darüber nachdenken, wie diese sinnvoll in die Förderstrukturen eingebunden werden können. Dies gemeinsam mit den beteiligten Akteuren in der kommenden Legislaturperiode zu erörtern und zu prüfen, ob Fördermaßnahmen so schneller und unbürokratischer abgewickelt werden können, halte ich für sinnvoll.

VdK: Schauen wir noch kurz in die Zukunft: Wo sehen Sie den Mittelstand in zehn Jahren?

Claudia Müller: Auf einem guten Weg in die Klimaneutralität, mit diversifizierten Lieferketten, sehr motivierten und gesunden Fachkräften. Vor allem aber denke ich, dass der Mittelstand in Deutschland weiterhin stark sein wird – mit noch mehr hidden champions.

VdK: Frau Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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