(Update am 10.10.2019)
Das Gesetz „zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ in der Fassung des Regierungsentwurfs vom 30. Juli 2019 („JStG 2019“) enthält Regelungen für die Besteuerung von Zinserträgen aus Kreditforderungen, die sogenannte „Internet-Dienstleistungsplattformen“ vermitteln. Mit Blick auf das „Crowdlending“ sieht das JStG 2019 vor, die Einkommensteuer auf Zinserträge
- durch Abzug vom Kapitalertrag zu erheben und
- inländische Internet-Dienstleistungsplattformen zum Einbehalt und zur Abführung zu verpflichten.[1]
Wir unterstützen ausdrücklich die gesetzgeberische Absicht, die Steuerzahlungen auf Kapitalerträge sicherzustellen und effizient zu organisieren. Die vorgesehenen Änderungen lassen sich allerdings aus aufsichtsrechtlichen und tatsächlichen Erwägungen nicht mit den Eigenheiten des Crowdlending vereinbaren. Davon abgesehen halten wir sie für unverhältnismäßig und diskriminierend. Ferner stehen sie im offenen Konflikt mit dem (Klein)Anlegerschutz und der Förderung alternativer Finanzierungen für KMU. Aufgrund dieser schwerwiegenden Mängel regen wir an, von den vorgesehenen Änderungen in §§ 43 und 44 EStG Abstand zu nehmen.
Als Alternative zu der vorgesehenen Abführungspflicht käme eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern in Betracht, wie sie zum Beispiel für Versicherungsvermittler besteht (§ 45d Abs. 3 EStG).
Insbesondere möchten wir auf die folgenden Punkte hinweisen:
- Die Abläufe einer Kreditplattform sind so organisiert, dass sie gerade keine Kapitalerträge an Gläubiger auszahlt oder gutschreibt. Insofern dürften die vorgeschlagenen Regelungen bereits tatbestandlich unanwendbar sein.
- Die Abführung von Kapitalertragsteuer ist auch aufsichtsrechtlich nicht umsetzbar. Kreditplattformen dürfen auf Grundlage ihrer erlaubnisrechtlichen Situation gerade keinen Besitz an Anlegergeldern erlangen und dürfen daher auch keine Kapitalerträge für Anleger in Empfang nehmen oder abführen.
- Ungeachtet dieser Erwägungen würde die Abführung von Kapitalerträgen für Kleinanleger unverhältnismäßige Kosten und Aufwand verursachen.
- Ferner benachteiligen diese Regelungen deutsche Kreditplattformen. Sie würden angesichts der EU-weiten Harmonisierung einen spürbaren Standortnachteil schaffen. Es kommt hinzu, dass Kreditplattformen bereits durch diverse bevorstehende Gesetzesänderungen mit einem hohen Umsetzungsaufwand belastet sind.
- Schließlich widersprechen sie dem gesetzgeberischen Ziel der KMU-Förderung.
Im Einzelnen
1. Tatsächliche Unvereinbarkeit mit Arbeitsweise einer Kreditplattform
Der vorgeschlagene Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 EStG-E und die Gesetzesbegründung lassen fehlerhafte Annahmen über die Arbeitsweise einer Kreditplattform erkennen.
Der Entwurf unterstellt, dass Kreditplattformen Rückzahlungen von Kreditnehmern in Empfang nehmen und an die Anleger weiterleiten. Sowohl die Gesetzesbegründung als auch der Gesetzestext selbst setzen voraus, dass die Kreditplattform (beziehungsweise die Internet-Dienstleistungsplattform) „Kapitalerträge an den Gläubiger auszahlt oder gutschreibt“. Diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Aus rechtlichen Gründen dürfen Kreditplattformen keine Darlehensraten entgegennehmen (dazu im Einzelnen unten Ziff. 2). Tatsächlich ist eine Kreditplattform damit auch nicht in die Auszahlung von Kreditraten eingebunden. Die vorgesehenen Änderungen erfassen mithin tatbestandlich keine Kreditplattformen, die ihr Geschäftsmodell an dem für die Branche einschlägigen Auslegungsschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ausgerichtet haben.
Entgegen den Annahmen der Gesetzesbegründung verfügen Kreditplattformen auch nicht über alle notwendigen Informationen für einen Abzug der Kapitalertragsteuer. Hierunter fallen zum Beispiel Informationen über die Steueridentifikationsnummer, Kirchensteuerpflicht, Nichtveranlagungsbescheinigungen, Steuerfreibeträge sowie der jeweils geltende Steuersatz.
Aufgrund der aufgezeigten Fehlvorstellungen und unzutreffenden Annahmen halten wir die Rücknahme dieser Regelungen für dringend geboten. Sie würden zu Rechtsunsicherheit und erheblichen Widersprüchen innerhalb des maßgeblichen Rechtsrahmens führen. Als Alternative regen wir eine Mitteilungspflicht nach dem Vorbild von § 45d Abs. 3 EStG an.
2. Unvereinbarkeit mit aufsichtsrechtlichen Vorgaben an Kreditplattformen
Die vorgesehene Abführung von Kapitalerträgen durch Kreditplattformen ist zudem regulatorisch nicht umsetzbar.
Die Abführung von Kapitalerträgen setzt voraus, dass Kreditplattformen die entsprechenden Zinserträge entgegennehmen und an die Anleger weiterleiten dürfen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Kreditplattformen verfügen in aller Regel über eine Erlaubnis nach § 34f GewO. Sie entsprechen damit den von der BaFin ausgearbeiteten Vorgaben für das Crowdlending.[2] Auf Grundlage dieser Erlaubnis dürfen Kreditplattformen keinen Besitz an Anlegergeldern erlangen. Dies ergibt sich zum einem ausdrücklich aus § 20 Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV). Zum anderen verbietet die für Kreditplattformen maßgebliche Bereichsausnahme des § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 8 Kreditwesengesetz (KWG) den Besitz von Anlegergeldern.
Durch die Entgegennahme und Weiterleitung von Zinserträgen, die für eine Abführung derselben nötig wären, würde eine Kreditplattform damit den für sie geschaffenen Ordnungsrahmen verlassen. Sie müsste vielmehr weitreichende Erlaubnisse nach dem KWG und dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) erwerben. Aufgrund der Besitzerlangung an Kundengeldern würde die o.g. Bereichsausnahme entfallen. Kreditplattformen müssten damit zumindest eine Erlaubnis als Anlagenvermittler nach § 1 Abs. 1a Nr.1 KWG erwerben. Des Weiteren würde eine Erlaubnis als Zahlungsdienstleister erforderlich, weil die Besitzerlangung und Weiterleitung von fremden Geldern ein Finanztransfergeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG) darstellt.
Es steht außer Frage, dass derartige aufsichtsrechtliche Anforderungen der gesetzgeberischen Absicht und dem Ansatz der BaFin widersprechen, Crowdlending auch in Deutschland zu ermöglichen. Es dürfte schließlich auch mit der in Art. 12 GG verankerten Berufsfreiheit unvereinbar sein, Kreditplattformen einen prohibitiven aufsichtsrechtlichen Rahmen aufzuzwingen, nur damit sie Kapitalertragssteuer abführen können.
3. Unverhältnismäßige Belastung für Kreditplattformen
Selbst unterstellt, dass keine rechtlichen und tatsächlichen Bedenken gegen die vorgesehene Pflicht zu Abführung der Kapitalertragsteuer bestünden, würden die nun vorgesehenen Regelungen nach unserer Auffassung unverhältnismäßig. Neben kaum lösbaren – und bislang unbeachteten – Fragestellungen hinsichtlich datenschutzrechtlicher Aspekte und der Handhabung bereits laufender Darlehen ist auch zu berücksichtigen, dass sich deutsche Kreditplattformen bereits jetzt tiefgreifenden regulatorischen Veränderungen ausgesetzt sehen.
3.1 Datenschutz
Die derzeitig beabsichtigte Regelung würde dazu führen, dass Kreditplattformen entweder von Anlegern selbst oder über das Bundeszentralamt für Steuern sensible steuerliche Informationen über die Anleger erheben müssen. Hierunter fallen Steueridentifikationsnummern (TIN) und Kirchensteuerabzugsmerkmale (KiStAM), die als religionsbezogene Daten gemäß Art. 9 DSGVO einem besonderen Schutz unterliegen. Die Durchführung der Meldungen und der Abführung der Steuer sowie die Informationen für Anleger und Finanzämter dürften zudem nur durch qualifizierte externe Steuerberatungsgesellschaften zu bewerkstelligen sein. Demnach müssten diese sensiblen Daten an Dritte weitergegeben werden. Hierdurch entstünde ein erhebliches Risiko von Datenpannen.
3.2 Unanwendbarkeit auf laufende Darlehen
Klärungsbedürftig wäre auch der Umgang mit laufenden Darlehen, die sich bei Inkrafttreten der neuen Regelungen noch in der Rückzahlung befinden. In diesen Fällen verfügen Kreditplattformen weder über die notwendigen persönlichen steuerlichen Informationen, noch können sie ihre Anleger nachträglich ohne Weiteres zu einer Offenlegung verpflichten. Aus diesem Grund dürfte eine Durchsetzung der im Regierungsentwurf enthaltenen Verpflichtungen jedenfalls für laufende Verträge ausscheiden. Die Anleger haben bezüglich dieser sensiblen Daten auch keinerlei Einwilligungserklärungen abgegeben, sodass die Plattformen den notwendigen Daten nur sehr schwer nachträglich erheben könnten.
3.3 Größe der Branche und betroffene Kreditplattformen
Im Hinblick auf den Adressatenkreis der angedachten Änderungen möchten wir hervorheben, dass es sich bei den betroffenen Kreditplattformen um eine neue und vergleichsweise kleine Branche handelt. Nach unserem Verständnis richten sich diese Vorschriften an eine mittlere einstellige Anzahl von Kreditplattformen. Es handelt sich bei diesen Plattformen um junge, wachstumsorientierte Unternehmen. Die angedachten Regelungen laufen nun Gefahr, den Kreditplattformen durch angesichts ihres Alters und ihrer Größe unverhältnismäßige Belastungen die Möglichkeit einer erfolgreichen Entwicklung zu nehmen.
Ferner steht die Höhe der abgeführten Zinseinnahmen derzeit in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den diese Gesetzesänderung verursacht. Auch wenn sich das Crowdlending eines starken Wachstums erfreut, sind die generierten Zinserträge noch immer relativ gering.
3.4 Bereits bestehender regulatorischer Anpassungsbedarf
Die angedachten Änderungen stellen sich überdies auch mit Blick auf die weiteren relevanten gesetzgeberischen Aktivitäten für die Branche als unverhältnismäßig dar. Angesichts des erheblichen Umsetzungsaufwandes und der begrenzten Ressourcen innerhalb der noch jungen Branche muss der Gesetzgeber auch Rücksicht auf die übrigen von ihm veranlassten Veränderungen für die Adressaten neuer Regelungen nehmen. Kreditplattformen sehen sich derzeit einer Vielzahl von gesetzgeberischen Veränderungen ausgesetzt:
- Die für Kreditplattformen maßgebliche FinVermV wird derzeit an „MiFID II“ angepasst und soll noch im September im Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt werden. Die neuen Vorschriften führen neue und weitreichende Pflichten gegenüber Anlegern ein. Damit verursachen sie einen erheblichen Anpassungsaufwand für Kreditplattformen und andere Gewerbetreibende mit einer Erlaubnis nach § 34f GewO.[3]
- Ab Januar 2020 werden Kreditplattformen Verpflichtete im Sinne des Geldwäschegesetzes. Die in Form eines Regierungsentwurfs vorliegenden Änderungen des Geldwäschegesetzes werden noch im Januar 2020 in Kraft treten und stellen Kreditplattformen vor erhebliche Herausforderungen.[4]
- Im Jahr 2020 sollen Gewerbetreibende nach § 34f GewO ferner unter BaFin-Aufsicht überführt werden. Dies geht aus einem Eckpunktepapier der Bundesministerien für Finanzen, Justiz und Wirtschaft hervor.[5]
- Schließlich dürfte noch unter der jetzigen Ministerratspräsidentschaft Finnlands in diesem Jahr ein europäischer Ordnungsrahmen für Crowdlending für Firmenkredite verabschiedet werden, der die Branche ebenfalls erheblich beanspruchen wird.[6]
4. Kleinanlegerschutz
Aus Kleinanlegerschutzgesichtspunkten sind die geplanten Änderungen bedenklich. Die zusätzliche Kostenbelastung wird insbesondere Kleininvestments und Diversifizierungsstrategien wirtschaftlich unattraktiv machen. Die von Kreditplattformen vermittelten Darlehensforderungen sind gerade auch deshalb für Kleinanleger sinnvoll, weil sie ihre Anlagen durch geringe Beträge über eine Vielzahl von Projekten streuen können. Zudem erheben Kreditplattformen für ihre Leistungen (wie beispielsweise die Vermittlung und die Koordinierung des Forderungsmanagements) bei ihren Anlegern keine Gebühren oder berechnen sie unabhängig von der Anzahl der einzelnen Anlagen.
Durch die neuen Regelungen wäre dies nicht mehr möglich, da mit dem Einbehalt und der Abführung von monatlichen Rückzahlungen ein massiver administrativer Mehraufwand für die Plattformen entstehen würde. Plattformen müssten jene Kosten wohl über einen Pauschalbetrag für jede Anlage an ihre Anleger weitergeben. Dies würde sich negativ auf die Nettoerträge der vermittelten Anlagen auswirken und insbesondere Kleinanleger davon abhalten, ihre Anlagen sinnvoll zu diversifizieren. Dies kann aus Anlegerschutzgesichtspunkten nicht gewollt sein. Im Gegensatz dazu würden Großinvestoren (wie institutionelle Investoren) bevorzugt, weil bei hohen Einzelinvestitionen diese Mehrkosten nicht weiter ins Gewicht fielen. Es besteht mithin die Gefahr, dass Plattformen sich von Kleinanlegern (Verbrauchern) abwenden würden. Sie würden dann nur noch höhere Investments zulassen können, die typischerweise von institutionellen Anlegern stammen.
5. KMU-Förderung
Derzeit gibt es viele deutschland- und europaweite gesetzliche Bestrebungen, alternative Finanzierungsmöglichkeiten für KMU zu fördern. Ferner nutzen mit der Förderung von KMU betraute Institutionen (wie beispielsweise die EIB und die KfW) Kreditplattformen in verschiedenen Formen, um in dieses über traditionelle Banken unzugängliche Segment zu investieren. Der Regierungsentwurf würde diese ausdrücklich gewünschten Geschäftsmodelle nun erheblich beeinträchtigen, indem er Kreditplattformen regulatorischen und organisatorischen Anforderungen unterwirft, die sie nicht bewältigen können. Als Folge würde damit auch die Versorgung der KMU mit alternativen Finanzierungen zu Bankkrediten leiden.
6. Benachteiligung inländischer Plattformen
Eine Kreditplattform kann vom Ausland aus auch ohne eine inländische Niederlassung betrieben werden und so verwundert es nicht, dass bereits einig Plattformen in dieser Form in Deutschland aktiv sind. Die vorgesehenen Regelungen beschränken sich jedoch auf inländische Betreiber von Internet-Dienstleistungsplattformen sowie auf inländische Zweigniederlassungen ausländischer Betreiber. Nicht umfasst werden von dieser Regelung ausländische Betreiber, die zwar am deutschen Markt werbend tätig sind, aber keine Zweigniederlassungen in Deutschland unterhalten. Diese würden nunmehr einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber inländischen Plattformen erlangen. Insbesondere vor dem Hintergrund der EU-weiten Harmonisierung der Crowdfunding-Regulatorik dürften sich die angedachten Änderungen äußerst negativ auf den Standort Deutschland und in Deutschland ansässige Kreditplattformen auswirken. Angesichts der oben ausgeführten Belastungen würden sie einen deutlich spürbaren Standortnachteil für deutsche Kreditplattformen schaffen.
[1] Art 2 Nr. 18 und 19 JStG-E 2019 – §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 c und 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 c EStG-E.
[2] Vgl. hierzu das Auslegungsschreiben zum Crowdlending vom 9.10.2015 sowie weitere Hinweise (Stand 4.01.2018).
[4] Regierungsentwurf vom 31.07.2019.
[5] Eckpunktepapier vom 24.07.2019.
[6] Vgl. zu dem aktuellen Stand auch die Stellungnahme des Europäischen Ministerrats vom 26.06.2019.