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“Die Seriosität der Geschäftsmodelle im Fintech-Universum kann stark variieren”

Melanie Wegling, Bundestagsabgeordnete aus Groß-Gerau, Ordentliches Mitglied im Finanzausschuss sowie Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen, spricht mit uns im exklusiven Interview u.a. über die Vereinbarkeit von Familie und Abgeordnetenmandat, das Zukunftsfinanzierungsgesetz im Spiegel der Kapitalmarktunion sowie die Rolle des Digital Lending für den Mittelstand.

VdK: Sehr verehrte Frau Wegling, vor rund einem Jahr sind Sie erstmals in den Bundestag eingezogen. Welche drei Worte fassen Ihre Eindrücke am besten zusammen?

Melanie Wegling: Verantwortung. Politische Entscheidungen in einer Zeit multipler Krisen treffe ich nicht leichtfertig.

Teamplay. Ich habe sehr schnell gelernt, dass in der Politik nichts alleine geht. Zusammenarbeiten und Kompromisse finden gehören zum Arbeitsalltag.

Rhythmuswechsel. Die Arbeit in meinem Wahlkreis Groß-Gerau und die in Berlin sind ein starker Kontrast.

VdK: Wie klappt es als Mutter zweier kleiner Kinder mit der Vereinbarkeit von Familie und Abgeordnetenmandat?

Melanie Wegling: Das funktioniert gut. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für viele junge Eltern herausfordernd. Das geht mir als Abgeordnete nicht anders, zumal es für Abgeordnete verständlicherweise keinen Anspruch auf Elternzeit gibt. Zudem kann ich für 22 Sitzungswochen im Jahr nicht zu Hause sein. Da ist natürlich ein hohes Maß an Vorausplanung und auch ein gutes Netzwerk nötig.

Momentan machen wir es so, dass meine im Sommer geborene Tochter mich nach Berlin begleitet, während mein Mann mit meinem Sohn, der schon in die Kita geht, zu Hause im Wahlkreis bleibt. Das ist für alle Beteiligten nicht einfach, weil es häufige Trennungen bedeutet. Dennoch bzw. genau deswegen finde ich es wichtig, dass junge Eltern im Parlament vertreten sind. Ihre Perspektiven sind wichtig für eine moderne Familienpolitik und familienfreundliche Arbeitsplätze.

VdK: Welche Unterstützung bietet die Bundestagsverwaltung für Abgeordnete, die ihre Kinder mit nach Berlin nehmen, weil sie z.B. noch keinen Kita-Platz haben?

Melanie Wegling: Zunächst muss man erst einmal sagen, dass es jahrzehntelang gar nicht vorgesehen war, dass Abgeordnete, v.a. weibliche Abgeordnete Kinder bekommen. So hatten sie früher nicht einmal das Recht auf Mutterschutz und mussten prinzipiell bis zum Tag der Geburt und gleich danach wieder voll arbeiten. Viele Regelungen, die es jungen Eltern im Bundestag einfacher machen, sind daher jüngeren Datums und mussten erst erkämpft werden. So gibt es z.B. das Spiel-, Still- und Wickelzimmer im Reichstagsgebäude noch nicht lange. Hierhin kann man sich mit seinen Kindern zurückziehen, wenn der Bundestag tagt – manchmal auch bis spät in die Nacht. Einfach mit ins Plenum dürfen die Kleinen nicht.

Die späten Sitzungszeiten des Plenums und abendliche Termine sind für Eltern eine Herausforderung – hier muss sich meiner Meinung nach dringend etwas ändern. Für die Kinder von Abgeordneten, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin und nicht im Wahlkreis haben, gibt es auch die Bundestags-Kita. Zehn Plätze stehen hier allen Abgeordneten zur Verfügung – die Kinder der Beschäftigten haben zunächst Vorrang.

VdK: Lassen Sie uns über Ihre Arbeit im Finanzausschuss sprechen. Welcher Themenbereich liegt Ihnen besonders am Herzen?

Melanie Wegling

Melanie Wegling: In meiner Arbeit als Finanzpolitikerin fokussiere ich mich auf zwei Themenbereiche, die mir besonders wichtig sind und unbedingt zusammengedacht werden müssen: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Meiner Auffassung nach muss unsere Steuerpolitik deutlich gerechter werden: Wir erleben hierzulande eine krasse Vermögensungleichheit, die sich in den letzten Krisenjahren noch weiter verschärft hat.

Gleichzeitig gibt es kaum ein Land in der Welt, das Arbeit so hoch und Vermögen so niedrig besteuert wie Deutschland. Diese steuerliche Schieflage trägt erheblich zu den sozialen Ungleichheiten in Deutschland bei. Zahlreiche Stellschrauben müsste man da angehen: Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, überfällige Reform der Erbschaftssteuer sowie des Ehegattensplittings, gerechtere Einkommens- und Umsatzbesteuerung, nur um einige Beispiele zu nennen.

Mehr Gerechtigkeit zu wollen heißt gleichzeitig auch auf Nachhaltigkeit zu achten: Wir müssen uns den großen strukturellen Herausforderungen stellen, damit zukünftige Generationen weiterhin von guten Lebensgrundlagen profitieren können. Konkret umfasst das unter anderem einen bewohnbaren Planeten, ausreichende Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, eine funktionierenden Daseinsvorsorge. Als Finanzpolitikerin setze ich mich dafür ein, dass sowohl die private als auch die öffentliche Finanzierung dieser großen Aufgaben sichergestellt werden kann.

VdK: Es ist immer wieder zu hören, dass die Ausschussarbeit noch viel zu sehr durch die deutsche Perspektive geprägt werde. Brüssel sei wie der Elefant im Raum. Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen Monaten gemacht?

Melanie Wegling: Das hängt natürlich ganz stark von der Tagesordnung ab. Dass das EU-Recht aber grundsätzlich in unserem nationalen Gesetzgebungsverfahren eine maßgebliche Rolle spielt, müsste eigentlich kein:e Abgeordnete:n mehr überraschen oder überfordern. Bei uns SPD-Finanzpolitiker:innen sehe ich jedenfalls keine Schwierigkeiten im Umgang mit der EU-Perspektive, im Gegenteil. Die EU-Komponente ist auch in meinen finanzpolitischen Berichterstattungen sehr präsent, insbesondere beim Thema Sustainable Finance und bei weiteren Fragen der Finanzmarktregulierung.

Als direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Kreises Groß-Gerau achte ich natürlich besonders auf die Interessen der Bevölkerung meines Wahlkreises. Und manchmal sieht es so aus, als hätten die komplexen polit-technischen Diskussionen in Brüssel oder Straßburg recht wenig mit diesen Interessen zu tun. Genau an dieser Stelle kann ich als „Mittlerin“ agieren und beispielsweise die Vorteile, ja sogar die Notwendigkeit einer europäischen Vorgehensweise im Bereich Nachhaltigkeit aufzeigen. Denn auch wenn manche EU-Prozesse oft ein bisschen langsam oder komplex scheinen, bleibe ich der festen Überzeugung, dass die Vorteile der EU-Konstruktion für Deutschland enorm sind, und dass wir die meisten großen Herausforderungen tatsächlich gemeinschaftlich mit unseren EU-Partnern angehen müssen.

VdK: Keinen Mangel an Präsenz leidet das Thema EU-Kapitalmarktunion. Ihre Befürworter sagen beispielsweise, die digitale und ökologische Transformation werde nur durch eine kraftvolle Mobilisierung privaten Kapitals zu stemmen sein. Das sehen Gegner skeptisch und erachten den Staat in der Pflicht. Was ist Ihre Meinung?

Melanie Wegling: Die EU-Kapitalmarktunion zu vollenden heißt in erster Linie, den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt weiter zu vertiefen. Das stärkt auch Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland, da mehr Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen und Investitionen europaweit zugänglich werden.

Zur Frage der Finanzierung der großen Transformationen: Die Bedarfe sind so gigantisch, dass die Debatte über eine strikt dominierende Rolle des öffentlichen oder des privaten Sektors meiner Meinung nach verfehlt ist. Die geeigneteren Stichwörter wären eher Wechselwirkung und Ergänzung. Wir müssen gesamtwirtschaftlich riesige Summen investieren, um unser Land fit für die Zukunft zu machen. In vielen Bereichen müssen wir vorrangig Investitionshürden für private Akteure abbauen; in anderen muss die öffentliche Hand als Vorreiterin den Weg in neue Märkte und Technologien ebnen; und in weiteren Fällen werden die effizientesten Ergebnisse im Rahmen von Kooperationen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor erzielt.

Dass dem Staat grundsätzlich eine wichtige Rolle zusteht, steht außer Frage: Er gibt die allgemeine Richtung an, definiert die rechtlichen Rahmenbedingungen und ist verantwortlich für die öffentliche Infrastruktur. Genau diese Grundlagen benötigt wiederum die freie Wirtschaft, um ihre Produktion digital und klimaneutral anpassen zu können. Transformation ist eine gesamtwirtschaftliche Aufgabe, keine Konfrontation „Staat versus Markt“.

VdK: Ein weiteres Thema, das den Finanzausschuss in den kommenden Monaten beschäftigen wird, ist das Zukunftsfinanzierungsgesetz, an dessen Entwurf die Bundesregierung aktuell arbeitet. Darin soll es u.a. um die Verbesserung des Zugangs von Startups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen zum Kapitalmarkt gehen. Auf genau diese Gruppen zielt aber auch die Initiative der Europäischen Kommission zur Förderung der Kapitalmarktunion aus dem Jahr 2015 ab. Was halten Sie davon, dass es eine deutsche und europäische Initiative zur selben Zielgruppe geben wird?

Melanie Wegling: Letzten Sommer haben die Bundesministerien für Finanzen und der Justiz gemeinsam erste allgemeine Eckpunkte für ein Zukunftsfinanzierungsgesetz vorgelegt. Auch im Parlament warten wir gespannt auf weiteren Input der Ministerien und freuen uns auf die weiteren Beratungen, in denen sicherlich noch an einigen Punkten gearbeitet werden muss.

Klar ist aber bereits, dass dieses Gesetzesvorhaben keine EU-Zuständigkeiten bzw. -Gesetze überlappen oder ersetzen soll. Laut Bundesfinanzministerium geht es vielmehr darum, eben jenes im Bereich Unternehmensfinanzierung gesetzlich zu regeln, was es auf nationaler Ebene zu regeln gibt, natürlich im Einklang mit den EU-Regeln. Das Bundesfinanzministerium hat uns gegenüber angegeben, sich diesbezüglich mit der EU-Kommission eng abzustimmen.

VdK: In der letzten Dekade sind immer mehr Fintechs in die Unternehmensfinanzierung eingestiegen. Während viele Digital Lender zu Anfang ihrer Entwicklung oftmals einfach nur schneller als Banken waren, bieten sie mittlerweile wettbewerbsfähige Kreditkonditionen und ein professionelles Kreditrisikomanagement. Hausbanken sehen diese Entwicklung naturgemäß kritisch, weil sie den Verlust der Kundenschnittstelle befürchten. Wie bewerten Sie die Bedeutung des „non-bank lending“-Sektors für den deutschen Mittelstand?

Melanie Wegling: Große Teile des Mittelstands stecken gerade in der Transformation und suchen nach den passenden Partnern für den eingeschlagenen Weg. Erfahrungsgemäß wendet sich der Mittelstand tendenziell eher an die klassischen Sparkassen oder Genossenschaftsbanken. „Non-bank“-Modelle wie beispielsweise Crowdfunding sind in diesem Bereich vermutlich noch eher marginal repräsentiert. Dennoch ist es grundsätzlich erfreulich, wenn seriöse und innovative Fintechs erfolgreich mit mittelständischen Unternehmen zusammenarbeiten und insbesondere den Weg der Transformation begleiten. In zukunftsorientierten Branchen ist der Finanzierungsbedarf teilweise sehr groß; Fintechs können da sicherlich eine interessante Rolle spielen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Seriosität der Geschäftsmodelle im Fintech-Universum stark variieren kann. Prominente Beispiele hierzulande sind bekannt. Es handelt sich um einen jungen, sehr dynamischen Markt. Ich finde es prinzipiell in Ordnung, dass man den Reifeprozess an dieser Stelle mit der nötigen Vorsicht verfolgt und sowohl die Potenziale als auch die Risiken der Fintechs im Blick behält.

VdK: Mit INVESDOR, einem Fintech aus Berlin, gibt es jetzt den ersten pan-europäischen Digital Lender mit deutschen Wurzeln, der nach den Regeln der EU-Schwarmfinanzierungsverordnung zugelassen wurde – allerdings nicht in Deutschland, sondern in Österreich. Hierzulande wurden so hohe regulatorische Hürden zum Wohle des Verbraucherschutzes aufgebaut, dass der deutsche Markt im Anwendungsbereich der Verordnung faktisch tot ist. Damit wird das Ziel der Verordnung verfehlt, den Zugang von Startups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen zu alternativen Finanzierungen zu verbessern und hierfür privates und institutionelles Kapital zu mobilisieren. Wie würde Ihre Abwägung ausfallen, wenn Sie zu entscheiden hätten?

Melanie Wegling: Ich bin zwar nicht tagtäglich im Fintech-Universum unterwegs, aber ich bekomme dennoch mit, dass beispielsweise einige dieser Unternehmen zwar auf eine Zulassung drängen, aber die Kriterien schlicht und ergreifend nicht erfüllen, zum Beispiel aus Unkenntnis oder mangels Professionalität. Andererseits habe ich auch von Fällen erfahren, bei denen grundsolide Fintechs tatsächlich an der Antragskomplexität scheitern. Außerdem sind einige Fintech-Geschäftsmodelle besonders technologieorientiert und komplex, oder im ungünstigsten Fall zu intransparent. Das stellt auch eine Herausforderung für den Regulator dar. Die BaFin hat sich in diesem Zusammenhang das Ziel gesetzt, im Zulassungsprozess zumindest das Erteilen von Absagen deutlich zu beschleunigen. Betroffene Unternehmen könnten somit besser planen, der Markt könnte sich schneller konsolidieren. Meiner Meinung nach ist das ein sinnvoller Ansatz.

VdK: Dürfen wir Sie zum Schluss fragen, ob Sie selbst schon einmal über eine Kreditplattform Ihr Geld investiert oder sich eine Finanzierung verschafft haben?

Melanie Wegling: Nein, noch nicht.

VdK: Können Sie uns vielleicht sagen, warum nicht?

Melanie Wegling: Die Investition über eine Kreditplattform hat in der Abwägung verschiedener Optionen bislang nicht in mein privates Anlage- und Chancen-/Risikoprofil gepasst.

VdK: Würden Sie es zukünftig in Erwägung ziehen?

Melanie Wegling: Klar, ich bin dem grundsätzlich zugewandt. Persönlich ist mir eine Diversifizierung meiner Investitionen und Finanzierung wichtig, da könnten zukünftig auch Kreditplattformen eine Säule sein.

VdK: Sehr verehrte Frau Wegling, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

Fotocredits: Phototek